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Das war doch nur ein Vogel oder: Was es mit uns macht, wenn unsere Trauer nicht ernst genommen wird

Ich war elf Jahre alt, als ein kleines grün-gelbes gefiedertes Wunder in mein Leben kam – eine Wellensittichdame namens Hansi.

Hansi war überall dabei – beim Hausaufgaben machen, beim Abendbrot, beim Kuchen backen. Sie war neugierig, lebhaft und total verschmust. Sie hatte ein viel zu kleines Vogelhaus, aber da war sie ohnehin nur nachts zum Schlafen, ansonsten hat sie sich nur außerhalb in der Wohnung herum- und allerlei Schabernack getrieben.

Die kleine Hansi war in meinem damaligen Leben als Kind und Heranwachsende, das geprägt war von Unsicherheit, Lieblosigkeit und Missbrauch, mein Anker. Auf sie konnte ich mich immer verlassen, sie war mir Trost und hat mich gelehrt, dass es bedingungsloses Vertrauen gibt. Kurzum, wir haben einander wirklich innig geliebt.

Als ich Jahre später von ihr Abschied nehmen musste, war mein Schmerz natürlicherweise unermesslich groß.

Für mich natürlicherweise. Für mein Umfeld natürlicherweise nicht.

Und obwohl ich wusste, dass sie schwer krank war und es gut war, sie gehen zu lassen, habe ich nächtelang geweint, wurde krank und habe wirklich sehr, sehr lange gebraucht, um diesen Verlust zu verarbeiten.

Aber nicht nur meine Hansi musste ich gehen lassen – davor und danach gab es Hunde und Meerschweinchen, die meine besten Freunde waren. Kaninchen, die ich ins Herz geschlossen hatte, die aber alle irgendwann als Hasenbraten auf dem Tisch gelandet sind. Wenn mich heute jemand fragt, wie und wo ich aufgewachsen bin, antworte ich oftmals: unter Barbaren.

Das Problem aber war nicht meine Trauer an sich – schon damals hatte ich eine Strategie, um mit meiner immensen Trauer und dem Verlust umzugehen.

Das Schwere daran war, dass ich nicht offen trauern konnte. Warum nicht?

Es war in meiner Familie nicht üblich. Tiere waren Tiere. Um Tiere trauert man nicht. Punkt.

Weil keiner in meinem Umfeld verstehen konnte oder wollte, dass man so sehr um ein Tier trauern kann, wie ich das tat, habe ich es im Verborgenen getan. Als hochsensibles Kind hatte ich schon sehr früh gelernt, dass es nicht „richtig“ war, feinfühlig und dünnhäutig zu sein.

Also war ich nach außen hin angepasst und habe, so gut es eben ging, mein Innenleben für mich behalten.

Bis heute gibt es wenige Menschen, die meine Trauer verstehen können – meist sind dies sehr gute Freunde und Menschen, die ebenso sensibel und feinfühlig sind und auch tierische Familienmitglieder haben oder hatten.

Durch diese Verluste meiner geliebten Tiere habe ich mich schon sehr früh mit den Themen Tod, Spiritualität und Trauer auseinandergesetzt. Zum Darüber Sprechen gab es niemanden – ich war es gewohnt und habe mir meine Bewältigungsstrategien erarbeitet. Unbewusst habe ich schon als hochsensibles Kind eine Art Resilienz besessen und mich mit meiner Trauer auseinandergesetzt.

Aber was heißt es eigentlich, zu trauern?

Bei Wikipedia heißt es:

„Trauer ist eine durch einen schwerwiegenden Verlust verursachte Gemütsstimmung, die etwa durch den Verlust einer geliebten oder verehrten Person, durch einen ideellen Verlust oder die Erinnerung an solche Verluste hervorgerufen wird.

Trauer bezeichnet einen emotionalen Zustand. Es ist ein Gefühl der Niedergeschlagenheit, einer emotionalen Taubheit oder -erstarrung oder des Hervorbrechens heftiger Emotionen, wie Schmerz, Panik, Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle, eines Mangels an Lebensfreude (kurzzeitig oder länger andauernd) oder eines seelischen Rückzugs, einer starken Kränkung.“ Hier kannst du weiterlesen:

Trauer – Wikipedia

Um einen Verlust zu trauern ist also ein schwerer emotionaler Eingriff in unser Leben, es ist eine Verletzung.

Trauer ist in weiten Teilen der Welt mittlerweile gesellschaftlich anerkannt – um einen geliebten Menschen. Sogar Trauer um eine Arbeitsstelle oder um eine langjährige Wohnung ist erlaubt. Und natürlich darf man auch um ein geliebtes Tier trauern. Aber doch nicht so intensiv und so lang bitte!

Hast du auch schon mal Sätze gehört, die dich in deiner Trauer bis ins Mark erschüttert haben?

„Was?? Es ist schon drei Monate her und du trauerst immer noch um deinen Hund? Dann solltest du dich aber so langsam zusammenreißen, meinst du nicht?“

Deshalb jetzt hier an dieser Stelle:

Lass dir alle Zeit der Welt, um um deinen tierischen Liebling zu trauern. Du darfst das! Um nicht du sagen – du sollst es sogar unbedingt!

Deine Trauer um dein Tier unterscheidet sich in keinster Weise von der Trauer um einen geliebten Menschen. Denn: Die Liebe ist die Gleiche.

Es ist immens wichtig, dass du für dich Wege findest, diesen schmerzlichen Verlust zu betrauern – in deinem Tempo und mit den Methoden bzw. deinen ganz individuellen Strategien.

Was macht Trauer mit uns?

Es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Trauer unmittelbare Auswirkungen auf unseren Körper, unsere Seele und unseren Geist hat. Trauer ist ein komplexes Zusammenspiel und betrifft uns als ganzes Individuum. Ein Verlust zeigt uns nicht nur merkliche Veränderungen, sondern bewirkt auch, dass sich unser Gehirn an die Ausnahmesituation anpasst. Die Anpassung des Gehirns nennt man Neuroplasitizität. Trauer ist eine Situation, ein Prozess, der sich auch in plastischer Neuanpassung unseres Gehirns niederschlägt.

Die neurobiologische Forschung eröffnet neue Sichtweisen und Erkenntnisse, die uns verstehen helfen, wie unser Körper und unsere Seele auf Verluste bzw. Trauer reagieren.

Hier ein Beispiel:

Die vegetative Ebene im Gehirn ist elementar und lebensnotwendig. Hier werden die lebensnotwendigen Funktionen koordiniert und gesteuert – die Nahrungsaufnahme, das Atmen, der Kreislauf, der Rhythmus von Schlafen und Wachen. Es ist mittlerweile nachgewiesen, dass in der Trauer die Abläufe und die Balance dieser Prozesse gestört werden. So haben wir vielleicht keinen Appetit mehr, schlafen schlecht und kommen leicht außer Atem.

Auch das limbische System, in dem vor allem unsere Emotionen sitzen und das uns hilft, uns in Raum und Zeit zurechtzufinden, funktioniert in der Trauer nicht mehr so wie sonst. Es wird tatsächlich weniger durchblutet, so kann es uns vorkommen, dass wir mehr vergessen als üblich. Wir können den Eindruck bekommen, dass alles verkehrt ist und wir ver-rückt sind.

Hier kannst du weiterlesen:

Trauern mit Leib und Seele – Ursula Gast, Klaus Onnasch

Embodiment: Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen : Tschacher, Wolfgang, Storch, Maja, Hüther, Gerald, Cantieni, Benita

Ein Verlust ist ein schwerwiegender Eingriff in unser Leben. Er beeinträchtigt nachweislich nicht nur unser Innenleben, sondern auch unser körperliches Befinden. Du kannst Herzschmerzen haben, dein Magen kann verrückt spielen, es können Schmerzen aller Art auftreten, die dir auf den ersten Blick unerklärlich scheinen.

Viele von uns haben gelernt, dass Trauer um ein Tier ungehörig ist oder zumindest nicht so schlimm sein sollte wie wenn man um einen geliebten Menschen trauert. Viele von uns haben als Kinder verinnerlicht, dass es nicht gut ist, über ein verlorenes Tier zu sprechen, zu weinen, es zu betrauern.

Und wenn, durfte es nicht so lange dauern. Ich habe mich schon als Kind gefragt, warum es für den Tod eines geliebten Menschen Rituale gibt und warum es das für Tiere nicht gab. (In meinem Umfeld gab es das nicht). Es schien mir nicht richtig – heute weiß ich, dass es nicht richtig war.

Was macht es mit uns, wenn wir nicht trauern können oder nicht dürfen?

In meiner Arbeit mit Menschen in Krisen und mit psychischen Herausforderungen begegnen mir Sätze wie:

„Als ich 8 war, kam ich eines Tages von der Schule nach Hause und mein Hund Maxi war nicht mehr an seinem gewohnten Platz. Keiner konnte mir sagen, was mit ihm passiert war. Ich habe wochenlang auf ihn gewartet, mein Vater hat mich ausgelacht…“

„Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, woran mein geliebter Kater Leo gestorben ist – ich erinnere aber nur zu gut an die Leere, die er hinterlassen hat. Meine Mutter hat mir nicht erlaubt, Fragen zu stellen und darüber zu sprechen, so habe ich den Schmerz für mich allein aushalten müssen und nachts viel geweint…“

Wenn wir gelernt haben, dass es nicht erwünscht ist, um unser geliebtes Tier zu trauern, kann uns das traumatisieren. Der Schmerz kann nicht zugelassen werden, wir können uns nicht in die Phasen der Trauer fallen lassen, die so wichtig sind, um Verluste und Tode zu verarbeiten. (Siehe dazu meinen Blogartikel über die Phasen der Trauer).

Dieses Nicht-Zulassen-Dürfen aller Gefühle, die in diesem Prozess auftauchen, versperrt den Weg in unser Innen, es versperrt den Zugang zu einem Verarbeiten. Es wird quasi eingefroren. Es ist aber nicht weg. Es bleibt an einem dunklen Ort und wartet darauf, dass man es anschaut.

So lange, wie du dir nicht erlaubst, deine vergrabenen Gefühle aus dem Verlies zu holen, sie anzuschauen, sie zu durchleben und sie dann zu verabschieden und zu integrieren – so lange können sie als unverarbeitete Traumata in dir fortbestehen. Du hast vielleicht vielfache körperliche Beschwerden, hast ungesunde Lebensweisen entwickelt, spürst dich nicht und tust dich schwer, deine Emotionen zu merken und sie zuzulassen.

Es mag sein, dass du in deinem Leben gut funktionierst. Vielleicht merkst du nicht offensichtlich, dass da eine Stelle in dir ist, die dunkler ist als der Rest. Eine Stelle, die so gut verdrängt und verdeckt worden ist, dass sie dir gar nicht mehr bewusst ist. Manchmal dauert es Jahre, bis uns unser Körper Signale schickt, die eindeutig sind.

Deshalb ist es so wichtig, dass du dir das Trauern erlaubst. Dass du dich mit Menschen umgibst, die dich verstehen, die dich anhören, die mit dir Rituale praktizieren, die dir helfen.

Dass du dir Zeit gibst und Geduld mit dir hast.

Dass du deine ganz eigenen Art zu trauern und mit dem Verlust umzugehen entwickeln darfst.

Jorge Bucay schreibt in seinem wunderbaren Buch „Das Buch der Trauer“ folgendes:

Jeder Verlust, so gering er auch sein mag, muss verarbeitet werden.

Jeder.

Nicht nur die großen Verluste rufen Trauer hervor; jeder Verlust ist mit Trauer verbunden.

Der Tod ist ein unvermeidbares Ereignis in unser aller Leben und genauso unvermeidbar ist es, dass wir daran wachsen.“

Dieses Daran-wachsen ist aber nur möglich, wenn du dich auf den Weg der Tränen machst – so nennt Bucay ihn.

Und es ist völlig egal, wann du das tust. Du kannst es unmittelbar nach dem Verlust deines geliebten Tieres machen. Du kannst es aber auch Monate oder Jahre später tun.

Du kannst sogar die Verluste deiner Kindheit jetzt als erwachsener Mensch betrauern.

Der erste und wichtigste Schritt dabei ist: Du musst es dir selbst erlauben. Du darfst um dein geliebtes Tier trauern. Sei es vor kurzem erst gegangen oder sei es schon Jahre oder sogar Jahrzehnte her.

Du kannst dich dazu entscheiden, dich auf den Weg der Tränen zu machen.

Es kann sein, dass er schmerzhaft wird, es kann sein, dass du viel weinen musst, es kann sein, dass du dir ein paar Tage frei nehmen musst. Es kann sein, dass andere schmerzliche Erinnerungen und Ereignisse in deine Gedanken drängen.

All das kann passieren.

Aber du wirst dich im Prozess und danach befreit fühlen, näher an dir und deinem Leben. Du wirst dich lebendiger fühlen, dich wieder mehr spüren und vor allem: Du wirst daran wachsen.

Ich verspreche dir, dieser Weg lohnt sich.

Gerne bin ich deine Begleitung.

Hier kannst du mehr über mich und meine Arbeit erfahren.

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