Auf dem Weg der Tränen, so wie Jorge Bucay ihn nennt, begegnen dir verschiedene Gefühle und Zustände.
Du kennst das vielleicht schon, dass du mitten in einer oder nach einer großen Veränderung (manchmal reicht auch eine kleine), einer Krise oder einem Verlust diverse Seins-Zustände durchlebst.
Mal bist du hoffnungsvoll, dann wieder wütend, es können Schuldgefühle auftauchen oder du fühlst dich klein wie eine Schnecke.
Auch in dem Trauerprozess, in dem du dich gerade befindest, geht es dir nicht immer gleich schlecht oder gleich gut.
Du hast Tage, an denen blitzt vielleicht schon wieder ein Funken Optimismus auf und an anderen Tagen wachst du schon mit einem schweren Gewicht in deiner Brust auf und willst einfach nur liegen bleiben und dich der Trauer hingeben.
Folgende Phasen der Trauer gibt es nach J. Bucay:
- Nicht-wahrhaben-wollen, Abstreiten oder Leugnen
- Regression und Wut
- Schuldgefühle
- Verzweiflung
- Identifikation und fruchtbare Trauer
- Akzeptieren.
Bevor wir uns zusammen die verschiedenen Phasen auf deinem Weg der Tränen anschauen, möchte ich dir etwas Wichtiges mit geben:
Wie in allen Bereichen des Mensch Seins gibt es auch hier individuelle Unterschiede.
Es kann sein, dass eine der Etappen bei dir weniger ausgeprägt als eine andere, vielleicht lässt du auch eine aus oder sie schleicht sich dann später noch dazu. Das ist alles richtig. Es gibt keine falsche Art zu trauern!
1. Nicht-wahrhaben-wollen, Abstreiten oder Leugnen
„Das darf nicht wahr sein“
„Das ist gar nicht passiert“
„Ich kann das nicht glauben…“
Das ist die Phase der Ungläubigkeit.
Du denkst, das alles war ein Irrtum, mein geliebter Hund muss doch noch schlafend in seinem Körbchen liegen, wenn ich gleich das Vogelhaus aufmache, wird mein Federball noch da sein und mich wie immer lautstark begrüßen…
Selbst dann, wenn der Tod deines Lieblings absehbar war, du ihn zu seinem letzten Gang begleitet hast und bis zum letzten Atemzug bei ihm warst, ist es ein großer Schock für dich. Du bist wie eingefroren, wie erstarrt, du empfindest vielleicht nicht einmal Schmerz.
So fassungslos bist du, dass du vielleicht gar nichts empfinden kannst.
Wenn du deinen tierischen Freund plötzlich verloren hast, kann diese Phase der Ungläubigkeit sehr lange anhalten.
Dein Körper schaltet in den Modus des Mit-deinen-Kräften haushalten.
Auch deine Psyche schützt sich, es könnte ja sein, dass es wirklich nicht wahr ist und sich das Ganze als großer Irrtum herausstellt. Bucay beschreibt es folgendermaßen:
Unser System schützt sich, indem wir die Realität anzweifeln und in einen Zustand der Konfusion kommen, der es uns erlaubt, von den Ereignissen Abstand zu nehmen.
2. Regression und Wut
Regression bedeutet so viel wie zurückkehren wollen, es ist eine Art psychischer Abwehrmechanismus, der der Angstbewältigung dient.
Du kannst nun merken, dass das Ereignis des Todes Wirklichkeit ist. Dein tierischer Freund kommt nicht mehr zu dir, wenn du Abends nach Hause kommst, er ist nicht mehr da, wenn du morgens aufwachst.
In dieser Trauerphase kann es sein, dass du von deinen Gefühlen überrollt wirst. Du willst heulen, stampfen, brüllen. Du möchtest dich wie ein kleines Kind diesem wahnsinnigen Schmerz hemmungslos hingeben.
Was nun folgt, manchmal schneller, manchmal langsam, mal früher, mal später, ist die Wut. Diese Wut bedeutet, dass du mit dem Geschehenen, mit dem Schicksal haderst. Vielleicht trifft dich die Wut wie ein Schlag, vielleicht ist sie eher leise.
Auf wen sind wir in dieser Phase wütend?
Das kann alles und jeder sein. Der Arzt, der deinem Liebling nicht mehr helfen konnte, das blöde Coronavirus, das verhindert hat, dass du näher sein und beim Arzt bleiben konntest, der blöde Tumor, oder Gott. Du kannst auf alles und jeden wütend sein, auch auf Gott, wenn du an ihn glaubst.
Es kann sein, dass du das ganze Leben verfluchst, weil diese Wut irgendwo hin muss.
Die Wut hat in diesem Moment eine wichtige Funktion: Sie hilft dir zu realisieren, dass es wahr ist, dass etwas geschehen ist, womit du dich auseinander setzen musst. Die Wut hilft dir aber auch, dich in dieser Phase noch vor dem Schmerz zu beschützen.
Kennst du die Geschichte von der Wut und der Traurigkeit?
Die Traurigkeit und die Wut gingen einmal zu einem magischen See, um gemeinsam ein Bad zu nehmen.
Am Ufer angekommen, legten sie dir Kleider ab und sprangen nackt in den See.
Wie immer von innerer Unruhe getrieben, nahm die Wut ein rasches Bad und verließ das Wasser bald schon wieder.
Aber da die Wut nahezu blind ist, zog sie die erstbesten Kleider an, die ihr in die Hände fielen, und das waren nicht ihre, sondern die der Traurigkeit.
Als Traurigkeit verkleidet, ging die Wut davon.
Die Traurigkeit nahm sich alle Zeit der Welt, ganz so, als ob sie keinerlei Eile hätte – denn die hat sie nie – und plantschte eine Weile ganz entspannt im Wasser. Als sie schließlich genug hatte, stieg sie aus dem Wasser und stellte fest, dass ihre Kleider weg waren. Wenn die Traurigkeit etwas nicht mag, dann, sich eine Blöße zu geben. Also zog sie die einzigen Kleider an, die da waren, die Kleider der Wut. Dann ging sie, als Wut verkleidet, ihres Wegs.
Manchmal, wenn sich jemand aufbrausend, grausam, rücksichtslos und blind vor Zorn gebärdet, macht es den Eindruck, als ob er/sie wütend wäre, aber wenn man genau hinsieht, stellt man fest, dass die Wut nur eine Maske ist und sich hinter all dem Toben und Wüten in Wirklichkeit die Traurigkeit verbirgt.
(Diese Geschichte stammt von Jorge Bucay und ist zitiert aus seinem Buch der Trauer).
3. Schuldgefühle
„Hätte ich doch…
Und wenn ich damals nicht…vielleicht würde mein Hund dann noch leben…“
Die Phase der Schuldgefühle löst normalerweise die Wut ab, sie ist dazu da, der Wut den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wut kann sehr erschöpfend sein und niemand kann lange in dieser Phase verweilen, ohne Schaden zu nehmen.
Im natürlichen Prozess auf dem Weg der Tränen taucht unweigerlich die Schuld auf.
Wir fühlen uns schuldig. Aus verschiedenen und ganz individuellen Gründen fühlen wir uns mitverantwortlich für den Tod unseres Tieres. Wir machen uns Vorwürfe und denken und sagen Dinge, die irrational sind:
„Vielleicht hätte ich zu einem anderen Tierarzt gehen sollen…
„Warum war ich an dem Tag lange arbeiten und konnte nicht das sein, als es meiner Mieze schlecht ging…“
Bucay schreibt dazu: Weil wir wissen, was folgt, versuchen wir uns durch Allmachtsphantasien vor der Ohnmacht und dem Schmerz zu schützen. Indem wir das tun, denken wir, wir hätten das Geschehene verhindern können, wir tun so, als ob es in unserer Macht gestanden hätte, den Tod zu verhindern.
Genau genommen ist diese Phase eine Fortsetzung der Wut, nun richtet sich der Groll und der Zorn gegen dich selbst. Auch hier gilt: Schuldgefühle können nicht von Dauer sein, weil sie unbegründet sind. Tief in dir weißt du, dass es eine Ausflucht ist, dich schuldig am Tod deines Lieblings zu fühlen.
4. Verzweiflung
Wenn du dich in der Phase der Verzweiflung wiederfindest, bist du gezwungen, dich dem wahnsinnigen Schmerz und der abgrundtiefen Traurigkeit zu stellen.
Wegen dieser Etappe nennt Bucay ihn den Weg der Tränen.
Alle vorherigen Phasen dienten dazu, diese Ohnmacht, die du nun empfindest, zu vermeiden.
Dies ist der Zeitpunkt, an dem dir schmerzlich bewusst wird, dass dein Liebling nicht wieder kommt. Nicht heute, nicht morgen, nie.
Egal, ob du an ein Leben nach dem Tod glaubst, daran, dass ihr euch wiedersehen werdet oder ob es für dich ein endgültiger Abschied ist – Tatsache ist, dass du nichts tun kannst. Und das ist ein tiefes Gefühl der Ohnmacht. Und als ob das nicht genug wäre, kommt noch ein anderes Gespenst dazu: Die Einsamkeit.
Du bist zurückgeworfen auf die Leere, die nun im Außen und im Innen herrscht, zurückgeworfen auf das unfassbare Gefühl, dein Tier für immer verloren zu haben.
Nun wird dir mit aller Macht bewusst, dass es auf der Welt nichts endgültigeres als den Tod gibt.
Nun musst du innehalten, musst du aushalten. Du musst buchstäblich nach Innen gehen, um mit dem Außen klarzukommen.
Ich habe einen Freund, der nennt Herausforderungen Hereinforderungen, im Sinne von: Da kommt was herein und fordert mich. Ich finde, das trifft es sehr gut.
Ich weiß, es fühlt sich schrecklich an, ich weiß, du denkst, du wirst zusammenbrechen, wenn du dich dem stellst.
Dein Inneres fühlt sich an wie wund, wie eine wirkliche körperliche Verletzung.
Und das täuscht dich nicht. Dies ist der härteste Moment auf deinem Weg und das spürst du regelrecht auf allen Ebenen.
So ähnlich schmerzhaft wie es sein kann, wenn sich gewaltsam von einer Wunde der Schorf löst – so fühlt es sich an.
Es kann sein, dass du folgende körperliche Empfindungen durchmachst:
Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Stiche in der Brust, Übelkeit, Herzrasen, Atemnot, Sehstörungen, Schluckbeschwerden, Hitzewallungen, Zittern, zugeschnürte Kehle, Appetitlosigkeit, Schwächegefühl, Rückenschmerzen…
Die Phase der Verzweiflung kann sich wie eine Depression anfühlen. Es ist auch möglich, dass du in eine Depression fällst. Von einer Depression spricht man, wenn du unfähig bist, deine Gefühle in eine Handlung zu überführen, so Jorge Bucay. Und weiter:
Depressive Menschen müssen nicht zwangsläufig traurig sein; sie sind deprimiert, aber nicht traurig. Die Menschen aber, die sich in dieser Phase der Trauer befinden, sind traurig. Und sie sind verzweifelt, wirklich verzweifelt.
In der Phase der Verzweiflung sind wir anfällig für „Zeichen und Wunder“, wir denken, den geliebten Geruch wahrzunehmen, wir hören das Tapsen der Pfoten, wir fühlen uns beobachtet.
Ich habe in der Zeit der größten Verzweiflung ein Geschäft abgeschlossen, das ich bis heute bereue.
Sei deshalb in dieser Zeit ganz besonders geduldig mit dir, du bist nicht ver-rückt, du spinnst auch nicht.
Es kann auch sein, dass du dir so sehr wünschst, dass dein Liebling noch da ist, dass du auf der Suche nach Pseudohalluzinationen (so nennt Bucay sie) bist.
Abgesehen davon glaube ich persönlich tatsächlich daran, dass unsere tierischen Lieblinge woanders „weiterleben“ und uns durchaus auch Zeichen senden können.
Die immense Traurigkeit und der tiefe Schmerz sind sehr heilsam für dich:
Sie trennen dich von der Außenwelt, damit alle Tränen geweint werden können, die geweint werden müssen und sie halten äußere Reize von dir fern, bis du wieder bereit bist, sie wahrzunehmen.
Du bist gezwungen, dich mit dir und deinem Inneren zu beschäftigen, um dann in die Außenwelt zurückzukehren und die letzten Etappen des Weges der Tränen zu beschreiten:
Identifikation, fruchtbare Trauer und Akzeptieren.
5. Identifikation und fruchtbare Trauer
Die Phase der unmittelbaren Identifizierung mit dem was nicht mehr ist, ist der erste Schritt aus der Verzweiflung. Wenn man die innere Verletzung durch den erlittenen Verlust mit einer körperlichen Wunde vergleicht, so ist dies die Phase, in der neues Gewebe gebildet wird.
Jetzt hast du vielleicht das Bedürfnis, dich aus der quälenden Umarmung der Ohnmacht zu lösen und deinem geliebten Tier „etwas zurückzugeben“, dich mit dem, was es geliebt und gemocht, was es gerne gemacht hat, zu identifizieren.
Du spürst, dass du zutiefst mit ihm verbunden bist – über den Tod hinaus.
Wenn dieser Abschnitt in der Trauerphase normal verläuft, handelt es sich um eine etwas übertriebene Aufwertung des verstorbenen Tieres.
Bei mir hast sich das nach dem Tod meiner geliebten Cocobella so geäußert, dass ich dachte, sie war das sanftmütigste und wunderbarste Vogelwesen. Ich habe sie eine Weile lang idealisiert. Auch meine Gefühle für sie waren im Nachhinein ein Ideal.
Es ist nicht gesund, wenn aus Aufwertung ein Ideal geschaffen wird, denn dann sieht man die Dinge nicht mehr im richtigen Verhältnis.
Es gibt nichts Schlimmeres, als Wertschätzen mit idealisieren zu verwechseln, schreibt Jorge Bucay, und weiter:
Das eine erlaubt mir, den Schmerz zu verarbeiten, das andere ist leider ein sicherer Weg, sich in ihm zu verrennen.
Die wertschätzende Identifikation ist wie eine Brücke zum Vorgang der fruchtbaren Trauer. In dieser Phase fassen wir wieder Mut und es kann eine emotionale Verwandlung stattfinden.
Jetzt kannst du lernen, die an den Schmerz gebundene Energie und Kraft zum Weitermachen umzuwandeln.
Das fühlt sich im Moment nicht wirklich leichter an, aber du spürst, dass sich etwas verändert hat. Es ist so, als ob du nach und nach wieder lernst, ohne Krücken zu laufen. Immer noch schmerzhaft, immer noch schwer, aber mit Lichtblicken zwischendrin.
Fruchtbare Trauer ebnet den Weg, damit du wieder nach vorne schauen kannst, es kommen Augenblicke, in denen du den Anfang von etwas Neuem sehen kannst – nützlich für dich und für andere.
Sie ebnet den Weg zum Akzeptieren.
6. Akzeptieren
Man weint um die, durch die man ist, wer man ist.
Dieser sehr weise Satz stammt von Jacques Lacan, einem französischen Psychoanalytiker und sagt nichts anderes, als dass ich auch dank dem Verstorbenen der Mensch bin, der ich bin.
Durch die Zeit, die du und dein tierischer Liebling zusammen hatten, bist du derjenige:diejenige, der:die du jetzt bist.
Ich finde dies einen ungemein tröstlichen Gedanken, heißt es doch, dass etwas von meinen verstorbenen Tieren immer da sein wird, solange ich da bin.
Um zu akzeptieren, ist es nötig, dich zu distanzieren und zu internalisieren.
Was bedeutet das?
Es ist nötig, dass du dich von dem verstorbenen Tier distanzierst, dass du dich abgrenzt und Abschied nimmst. Du musst ohne Wenn und Aber begreifen, dass es nicht wiederkommt. Und gleichzeitig wirst du erkennen und wirklich realisieren, dass du noch lebst. Du musst deinen Platz in diesem Leben wiederfinden.
Als zweites setzt Akzeptieren ein Internalisieren voraus, schreibt Bucay. Und weiter:
Etwas von dem Verstorbenen bleibt in mir, ich wäre ein anderer:eine andere, wenn ich dieses mein Tier nicht in meinem Leben gewesen wäre. Zu erkennen, was es in mir hinterlassen hat, und zu begreifen, dass die Dinge, die ich durch es gelernt habe, die wir gemeinsam entdeckt und erlebt haben, in mir weiterleben – das bedeutet Internalisieren.
Wenn du merkst und anerkennst, dass nicht alles, was dir dein Tier gegeben hat, verschwunden ist, wenn du merkst, dass du so viel Schönes und Gemeinsames in dir weiterträgst, kannst du anfangen zu akzeptieren.
Hier kannst du mehr lesen.
Gerne bin ich deine Begleitung durch die Phasen der Trauer, die übrigens individuell verschieden und nicht unbedingt graduell ablaufen.
Hier kannst du mehr über mich und meine Arbeit lesen.